Laut einer Studie beeinträchtigt das Homeoffice bei gut einem Drittel der Beschäftigten die mentale Gesundheit. Die Arbeits- und Organisationspsychologin Nicole Kopp erklärt im Interview, warum das Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen im Zentrum der modernen Arbeitswelt stehen sollte und gibt Einblicke in die Bedeutung des physischen Büros im hybriden Arbeitsmodell.

Inzwischen kursieren zahlreiche Definitionen zu New Work. Wie definierst du New Work? 
 

Es gibt viele Definitionen, aber mir gefällt am besten die, dass New Work Arbeit ist, die Menschen stärkt, anstatt sie zu schwächen. Das ist das Ziel, auf das wir hinarbeiten sollten.


 

New Work bedeutet also, dass die Bedürfnisse der Mitarbeitenden im Zentrum stehen. Warum ist das heute so wichtig und welche Rolle spielt dabei die Gesundheit?
 

Arbeit hat viele Menschen krank gemacht und tut es auch heute noch. Viele Menschen fühlen sich unwohl und gestresst beim Gedanken, zur Arbeit zu gehen. Die Arbeitszeiten sind oft belastend. Auch lange Pendelwege und eine immer höhere Arbeitsdichte tragen dazu bei, dass Arbeitnehmer*innen erschöpft sind. Die aktuelle CSS-Gesundheitsstudie belegt, dass es vielen Menschen in der Schweiz zurzeit nicht gut geht. So antwortet ein Drittel der Bevölkerung auf die Frage «Wie gut geht es Ihnen emotional bzw. psychisch?», dass es ihnen durchzogen bis schlecht geht. Drei von vier berufstätigen

Befragten geben an, dass sich die Flexibilität in Arbeitszeiten und -orte positiv auf das eigene Stressniveau auswirke. Im Unterschied zur Flexibilität wird das Übergreifen der Arbeit in die Freizeit von den meisten Betroffenen als belastend angesehen. Deshalb müssen wir die Arbeit verändern. Es reicht nicht aus, diese Veränderung auf die Arbeitnehmenden abzuwälzen und ihnen zu raten, einen Meditationskurs zu buchen oder eine Yoga-App anzuwenden. Das gesamte System muss verändert werden, um die Gesundheit der Arbeitnehmer*innen zu erhalten.


 

Wo sollten Unternehmer*innen in Bezug auf das Thema Gesundheit als erstes aktiv werden?
 

Ein wichtiges Thema ist die Erreichbarkeit. Die flexible Arbeitsweise ermöglicht es uns, auch nach 18 Uhr eine E-Mail zu schreiben. Viele Arbeitnehmer*innen fühlen sich dadurch gestresst und gestört. Die meisten Unternehmen haben dazu keine klaren Regeln. Eine Lösung ist es, Vereinbarungen darüber zu treffen, wie ausserhalb der Arbeitszeiten mit der Erreichbarkeit umgegangen wird. Was gilt als Notfall? Wann und in welchem Zeitraum ist eine Reaktion erforderlich? Ein weiteres Thema ist die Isolation. Bei 35 % der Beschäftigten beeinträchtigt das Homeoffice die mentale Gesundheit. Hier sehe ich es als Aufgabe der Führungskräfte, die Bedürfnisse der im Homeoffice arbeitenden Menschen wahrzunehmen. Oft geraten sie im Führungsalltag aus dem Blickfeld, da sie nicht physisch präsent sind. Durch einfache Fragen und zum Beispiel einem Check-In (siehe Box) zu Beginn eines Meetings können sich die Menschen gesehen und gehört fühlen. Gleichzeitig erhalten die Führungskräfte ein Gefühl dafür, wie es den Menschen wirklich geht.


 

Wie wichtig ist das physische Büro in diesem Zusammenhang?
 

Das physische Büro spielt eine sehr wichtige Rolle. Man kann oft am Verhalten der Menschen erkennen, wie es ihnen geht. Wenn jemand mit hängenden Schultern ins Büro kommt, spürt man das. Es erfordert jedoch Sensibilität und Mut, Menschen anzusprechen, denen es nicht gut geht. Gemeinsame Pausen und Mittagessen bieten die Möglichkeit, füreinander da zu sein und sich auszutauschen.


 

Was sind deine Empfehlungen für Homeoffice und Büropräsenz?
 

Studien zeigen, dass 1 bis 3 Tage Homeoffice ideal sind. Gleichzeitig leiden diejenigen, die nicht gerne von zu Hause ausarbeiten, wenn sie es müssen. Jeder sollte für sich selbst herausfinden, was für ihn am besten funktioniert und dann mit dem Team und der Führungskraft darüber sprechen können. Viele Menschen handeln derzeit egoistisch in Unternehmen. Sie fordern möglichst viele Homeofficetage, ohne die Auswirkungen auf das Unternehmen zu bedenken. Die Entscheidung, wie oft und wann von zu Hause ausgearbeitet werden kann, sollte auf Teamebene getroffen werden, da die meiste Wertschöpfung in den meisten Unternehmen im Team stattfindet. Ausserdem ist das Büro aus wissenschaftlicher Sicht besser geeignet für komplexe und kreative Aufgaben, bei denen Menschen zusammenarbeiten müssen. Für welche Aufgaben ist es sinnvoll im Büro zu arbeiten? Welche Aufgaben können asynchron, hybrid oder remote erledigt werden? Diese Diskussion hat in vielen Unternehmen noch nicht stattgefunden. Jetzt ist der beste Zeitpunkt, dies zu tun.
 


Nicole Kopp, Coach, Gründerin von GoBeyond und Kolumnistin für die NZZ am Sonntag, bietet interessante Einblicke, wie Arbeitskultur und Zusammenarbeit attraktiver und menschlicher gestaltet werden können. Mit 30’000 Followern auf LinkedIn hat sie eine erfolgreiche Plattform aufgebaut und ihre Kolumnen bieten viele spannende Themen. Hier finden Sie ihre veröffentlichten Beiträge.

«Check-In» kurz erklärt

Ein einfaches Ritual, das viel bewirkt, ist das Check-in: Zu Beginn eines Meetings wird eine Frage gestellt, die alle beantworten. Das hilft den Menschen beim gedanklichen Ankommen und erhöht gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich während dem Meeting äussern.

​​​​Mir freue üs uf öich

Interessiert? Melden Sie sich bei uns!

Büro Bischof Bern, Beat Blaser, Andrea McCabe, Danielle Lörwald